Auf dem

Trockenen

Auf dem Trockenen

Wird Wasser das nächste globale Rohstoff-Thema? Ist es das längst? Ein Gespräch mit Johannes Heeb – Mitbegründer des Innovators und Entwicklungspartners im Nachhaltigkeitsbereich seecon – über das Ausmaß des Problems, neue Möglichkeiten der Kooperation und den notwendigen Mindshift in der Logistik.

Herr Heeb, Sie als Schweizer und ich als Österreicher leben in Ländern, in denen die Wasserversorgung nie infrage stand. Warum sollen wir uns – abgesehen natürlich vom Thema der Solidarität mit anderen Ländern – darum Sorgen machen?

Johannes Heeb: Wasserknappheit hat vor ein paar Jahrzehnten in der Schweiz oder in Österreich tatsächlich noch keine Rolle gespielt, sie war noch nicht erfahrbar. Ich habe damals schon Projekte zur Regenwasser-Retention geleitet. Das fanden die Menschen zwar interessant, aber nicht besonders relevant. Heute ist das ganz anders. Wir erleben derzeit eine noch nie dagewesene Trockenheit in den Böden. Wenn es regnet, haben wir zwar ein wenig Wasser im System, aber das verschwindet schnell wieder.
In der Wettervorhersage im schweizerischen Fernsehen war kürzlich eine Grafik zu sehen: Die hat gezeigt, dass eine solche Trockenheit nach den aktuellen Modellen alle zehn bis 20 Jahren auftreten wird. Und dann wurden die Effekte des Klimawandels herausgerechnet. Das Ergebnis: Eine solche Trockenheit sollte eigentlich nur alle 200 bis 300 Jahre vorkommen.
Wir starten derzeit in der Schweiz ein Projekt namens ‚Slow Water‘, das die Regenwasserrückhaltefähigkeit in Einzugsgebieten verbessern soll – zum Beispiel über Retentionsteiche, Mulden, Humusbewirtschaftung oder angepasste Anbaumethoden. Und wir finden überall offene Türen: Die Kommunen machen mit, die Bauern machen mit. Die Menschen spüren, dass sich hier eine dramatische und unglaublich schnelle Entwicklung vollzieht. Alleine der Gletscherverlust in den Alpen liegt bei sechs Prozent in diesem Jahr. Spätestens, wenn in den Gemeinden die Aufrufe aufschlagen, den Pool nicht mehr zu füllen und den Rasen nicht mehr zu sprengen, bemerken die Menschen, dass sich hier etwas radikal verändert.

 

Es geht aber nicht nur um den unmittelbaren Wasserverbrauch?

Heeb: Richtig, es geht auch um das virtuelle Wasser. Wir alle verbrauchen im Schnitt 150 bis 170 Liter Wasser pro Tag. Rechnet man jedoch das virtuelle Wasser hinzu, sind es um die 4.000 Liter. Eine Tasse Kaffee entspricht ungefähr 140 Litern. Ein perfektes Beispiel ist die Avocado: Die wird als Superfood angepriesen, ist aber tatsächlich ein Super-Katastrophen-Food. In Peru werden dafür ganze Landstriche entwässert, weil die Plantagen das Wasser verbrauchen. Avocados sind der große Wasserverbraucher, aber darüber wird nicht geredet.

Sie sind dennoch der Meinung, dass die Awareness in der Bevölkerung steigt?

Heeb: Ich habe den Eindruck, dass die Einstellung der Konsumentinnen und Konsumenten häufig als Ausrede herangezogen wird, gerade beim Thema Wasser verändert sich hier aber viel. Tatsächlich geht es jedoch um mehr als um Awareness: Notwendig ist ein echter Mindshift.

Auch im Bereich der Logistik?
Heeb: Definitiv, auch wenn das in der Branche noch nicht angekommen ist. Logistiker wollen – zugespitzt formuliert – Tonnenkilometer abrechnen. Doch die Umstände verändern sich, denken Sie nur daran, wie drastisch sich die Transportpreise innerhalb kurzer Zeit erhöht haben. Wenn das so weitergeht, entstehen Schmerzen im System, und plötzlich werden neue Überlegungen interessant. Wir sprechen hier von einer Existenzkrise der Logistikbranche in ihrer heutigen Form. Und die Auslöser sind manchmal ausgesprochen punktuell.

 

Geben Sie mir ein Beispiel?

Heeb: Namibia exportiert viel Fisch, auch in den EU-Raum. Vor einigen Jahren ist die Fischerei in Namibia aber faktisch zusammengebrochen. Und was war der Grund? Sie hatten kein Wasser mehr, um Eis herzustellen. Damit ist die gesamte Supply Chain zusammengebrochen, und wenn das passiert, hat man als Logistiker ein ernstes Problem, weil die Ware einfach nicht mehr da ist. Daher ist es wichtig, die Wasser-Risiken entlang der Versorgungsketten aufzuzeigen.

 

Wenn sich die Branche, wie Sie sagen, einer Existenzkrise nähert und eines Mindshifts bedarf: Wie soll der aussehen?

Heeb: Es geht darum, Supply Chain Management völlig neu zu denken, im Sinne eines Supply-Chain-Systemmanagements. Im Grunde sollten Logistikunternehmen ihr Geschäftsmodell komplett neu aufstellen. Immer weiter zu wachsen, führt letztlich ins Chaos.

Aber was wäre, würde man Transportvolumen durch Systemintelligenz ersetzen? Dann würde die Logistikbranche sicherstellen, dass Produkte nachhaltig zu den Konsumentinnen und Konsumenten gelangen, dass das Ressourcenmanagement entlang der Versorgungsketten sichergestellt ist – und sich so auch darum sorgen, wenn im fernen Namibia etwas passiert. Dann würden nicht mehr Tonnenkilometer verkauft, und der Verlust im Revenue Stream könnte durch diese neue Systemintelligenz substituiert werden.
Wir sehen doch, dass das heutige System der Supply Chains überhaupt nicht resilient ist. Und hier spreche ich nicht von irgendeinem Schiff, das sich im Suezkanal querstellt. Wir sehen derzeit ganze Versorgungsketten zusammenfallen, plötzlich fehlen einzelne Güter. Das hat natürlich nicht immer mit Wasser zu tun, aber von den erwähnten 4.000 Litern entfallen ungefähr 85 Prozent auf die Lebensmittelproduktion. Vielleicht produzieren wir einfach die falschen Dinge am falschen Ort.

 

Sie postulieren ein neues Selbstverständnis der Logistik?

Heeb: Die Logistikerinnen und Logistiker der Zukunft müssen viel mehr Verantwortung dafür tragen, dass ein Produkt in einer sinnvollen Art beim Empfänger landet. Und die Kundinnen und Kunden sind mittlerweile durchaus bereit, dafür etwas mehr zu bezahlen. Der Bio-Massenmarkt hat sich zum Beispiel viel stärker entwickelt, als wir noch vor ein paar Jahren dachten. Man sagt immer, die Konsumenten wollten das nicht, aber das stimmt nicht.
Logistikunternehmen können sich in der Region als Experten für Kreislaufwirtschaft oder Sharing Economy positionieren. Sie können gemeinsam mit Unternehmen Güterströme analysieren. Es gibt viele Ansätze und Beispiele, wie man ein komplett neues Bild von Logistik und Supply Chain Management generieren kann.

 

Wird Wasser Ihrer Meinung nach zu einem Treiber dieser Entwicklung? Wird es das nächste große Thema?

Heeb: Wenn der Rhein oder die Donau Niedrigwasser führen und damit die Binnenschifffahrt einschränken, lesen wir darüber in allen Zeitungen. Doch dahinter steht ein viel größeres Problem: Für industrielle Produktion benötigt man neben Energie auch Wasser. Und das kann man weder substituieren noch in produktionsrelevanten Mengen transportieren. Eisberge nach Afrika zu schleppen, mag eine kreative Idee sein, aber das bringt natürlich gar nichts. Wasser muss für die Produktion also vor Ort vorhanden sein, und bricht hier nur ein einziges Kettenglied, entsteht ein massives Problem.
Das gefährdet die heutige Logistikbranche in meinen Augen grundlegend. Und ich denke, dass sich hier die Welten trennen werden: Manche werden es erkennen und sich als diejenigen positionieren, die für Versorgungssicherheit verantwortlich sind. Wer nicht auf Systemintelligenz setzt, wird früher oder später aus dem System fallen.

 

Ein solches Szenario birgt aber auch Chancen für neue Player?

Heeb: Für neue Player und für neue Kooperationen. Logistikerinnen und Logistiker arbeiten plötzlich zum Beispiel mit Wasserspezialisten zusammen. Oder mit Menschen im Fair-Trade-Bereich.

 

Muss das bestehende System erst kollabieren, um einen Mindshift in Ihrem Sinne zu ermöglichen?

Heeb: Vielleicht muss es teilweise tatsächlich zu einem Kollaps kommen. Möglicherweise bedarf es massiver Trigger-Elemente. Covid hat uns gezeigt, dass auch virtuelle Begegnungen durchaus sinnvoll sind – traditionelle Förderungen für Digitalisierung hätten dafür viel länger gebraucht. Durch die aktuelle Energiekrise wird Energie überhaupt erst zu einem Produktionsfaktor. Und zwar nicht nur für Konzerne und Großverbraucher. Jetzt kommt das Thema Wasser hinzu.
Auch aus dieser Krise kann man neue Möglichkeiten entwickeln. Doch das Antizipieren von Krisen und die schnelle Reaktion darauf sind bisher keine Kernkompetenz der Logistikbranche, weil sie es einfach nie tun musste.

 

Welche Entwicklungen erwarten Sie denn für die kommenden Jahre?

Heeb: Ich denke, bei Wasser wird ähnliches passieren wie derzeit im Energiebereich. Der Angriffskrieg in der Ukraine hat ja etwas Interessantes getriggert: Die Gasspeicher in Europa sind zu über 90 Prozent gefüllt. Vor Portugal warten Flüssiggas-Tanker auf ihre Entladung. Das ganze System hat sich extrem schnell reorganisiert. Und ich bin ziemlich sicher, dass in Bezug auf Wasser in den nächsten paar Jahren ähnliches ablaufen wird.
Das wird Industrien wie etwa den Tourismus komplett auf den Kopf stellen, und das passiert ja bereits. In vielen Bereichen wird die Ernsthaftigkeit erkannt, und man denkt um. Erste Tourismusregionen beginnen bereits, ihr Gesamtgeschäftsmodell komplett umzustellen.
Aber wie gesagt: Ich habe den Eindruck, dass die Logistikbranche noch mehr Namibia-Geschichten braucht, um das zu realisieren. Es geht hier wieder ums Antizipieren, und da landen wir auch bei der Frage der Aus- und Weiterbildung. Ausbildung ist ein relativ träges System. Aber über die Weiterbildung kann man die Menschen sehr schnell und direkt erreichen.
Möglicherweise ist ein solcher Change in der Logistik ja gar nicht so aufwändig: Ich muss meine Rolle in diesem Spiel nur anders verstehen. Es geht im Grunde darum, Hard durch Soft zu ersetzen. Das ist wesentlich weniger aufwändig als die Förderung regenerativer Energien. Vielleicht sollte man nur sagen: Investiert mal ein bisschen weniger in Elektromobilität, und kümmert euch um Dinge, die schnell zu verändern sind und langfristig nachhaltig wirken!

 

Bedarf eine solche Veränderung auch eines neuen – oder anderen – Selbstbewusstseins der Branche?

Heeb: Ja. Denn die Trigger sind nicht nur dramatische Ereignisse. Trigger sind auch einzelne Menschen, die sagen: Das ist wichtig, also tun wir es. Infrastrukturbedarf durch Systemintelligenz zu ersetzen, ist einfach viel effizienter und schneller. Wir müssen dort Lösungen suchen, wo wir schnell und mit wenig Aufwand Wirkungen erzielen können. Und ich denke, dass sich gerade die Logistikbranche für einen solchen Prozess ganz hervorragend eignet.

 

Und solche Menschen findet man?

Heeb: Wir unterstützen junge Unternehmerinnen und Unternehmer weltweit beim Aufbau von nachhaltigen Businesses, und wir haben eine gute Erfolgsquote. Ich erlebe unheimlich viel Innovationswille, Fähigkeit und Commitment. Wir brauchen Menschen, die wirklich von diesem Shift überzeugt sind, wir brauchen eine neue Hall of Fame. Es gibt diese Menschen, und die werden wir auch im Logistikbereich finden.

 

Wir haben noch gar nicht über den Faktor Politik gesprochen. Welche Rolle kann oder soll sie denn in dieser Entwicklung spielen?

Heeb: Green Business wird ohne staatliche Regelungen nicht auskommen. Ich stelle allerdings immer wieder fest, dass die Politik in vielen Bereichen sehr langsam agiert. Im Grunde gäbe es eine sehr einfache Lösung, das System radikal zu verändern – und dafür bräuchte es einen politischen Entschluss: die Internalisierung externer Kosten. Das wäre übrigens auch ein sehr liberaler Ansatz. In Diskussionen mit Vertreterinnen und Vertretern von Unternehmen sage ich immer: Solange ihr die Externalität nicht bezahlt, seid ihr subventioniert. Und das hören sie nicht so gerne, sie sind ja der ,freie Markt´. Tatsächlich ist die globale Wirtschaft aber hochsubventioniert.
Wir werden um die Frage der Kostenwahrheit jedenfalls nicht herumkommen. Beim Thema Systemintelligenz geht es ja auch darum: sich als Systemplayer zu verstehen und zu versuchen, negative Impacts entlang der Kette zu minimieren, um überhaupt im Geschäft zu bleiben. Das tangiert ja die Frage der Kostenwahrheit.
Derzeit dominiert allerdings das Thema CO2 die Debatte. CO2 ist selbstverständlich klimarelevant, doch es gibt eben viel mehr entscheidende Faktoren, und CO2 ist wohl am einfachsten zu messen. Die Einseitigkeit der Debatte ist auch der Grund, warum die Geschichte mit der Elektromobilität völlig aus dem Ruder gelaufen ist.

 

Sind Sie für die kommenden Jahre eigentlich optimistisch?

Heeb: Ich habe natürlich Phasen erlebt, in denen ich gezweifelt habe. Aber ich sehe zum Beispiel im Libanon eine Gesellschaft, die nach einer unglaublichen Abfolge von Katastrophen immer noch Mut hat, immer noch Unternehmerinnen und Unternehmer hervorbringt, die fantastische Projekte initiieren. Genau solche Menschen bilden die neue Hall of Fame.

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