Deus ex Machina?

Deus ex Machina?

Automatisierung haftete lange Zeit das Image an, ein Hebel zum Abbau von Mitarbeiter:innen zu sein. Warum sich dieses Image massiv gedreht hat. Warum Automatisierung auch für KMU immer mehr zum Thema wird. Und warum die Einbindung der Menschen und das Schaffen menschenwürdiger Schnittstellen entscheidend ist.

Die Vorbereitung schien perfekt, die Einführung gelang reibungslos, und die fahrerlosen
Transportsysteme bewährten sich in der Praxis. Doch dann begannen die seltsamen Schäden, ausgelöst durch vermehrte „Unachtsamkeiten“ der Mitarbeiter:innen. „Diese Schäden gibt es heute interessanterweise nicht mehr“, sagt Peter Totz.

Der Automatisierungs-Spezialist, zuletzt Head of Business Development bei SSI Schäfer, hat mit manchen Betriebsräten noch vor zehn oder 15 Jahren heftige Kämpfe um die Automatisierung ausgetragen, „zum Teil beinhart“. Diese Zeit scheint endgültig vorbei zu sein.

Automatisierung stand lange im Spannungsfeld zweier entgegengesetzter Emotionen. Geliebt, weil sie pure Technik ist, die Materialisation höchster Ingenieurskunst und erfinderischer Brillanz. Gehasst, weil sie augenscheinlich nur einem Zweck diente: die menschliche Arbeitskraft zu eliminieren. Doch die massive Not, Mitarbeiter:innen für bestimmte Tätigkeiten zu finden, hat zu einem bemerkenswerten Imagewandel geführt. Immer deutlicher wird Automatisierung als unterstützend wahrgenommen. Bis es so weit kam, mussten allerdings alle Seiten ihre Einstellung verändern.

Gegen die Unterforderung

Automatisierung ersetzt menschliche Arbeitskraft, aber Arbeitsplätze vernichtet sie nicht“, sagt Peter Totz. „Sie ist die Voraussetzung dafür, den Standort zu erhalten. Die Alternative wäre, Produktion zu verlagern.

Der Imagewandel hat offensichtlich auch damit zu tun, dass die Erwartungen zurückgeschraubt wurden. Von der Idee der menschenleeren Halle sind auch die Anbieter – zumindest vorläufig – abgerückt. Substituiert oder ergänzt werden vor allem Tätigkeiten, die kaum noch jemand ausüben möchte.

Ich kenne viele Kunden, die tatsächlich keine Mitarbeiter:innen finden – zumindest nicht für bestimmte Jobs“, erzählt Markus Winkler, Project Manager bei TGW. „Zu kommissionieren oder den ganzen Tag einen Schiebewagen durch die Gegend zu fahren: Das sind Tätigkeiten, die manche eine Zeit lang machen, um ein bisschen Geld zu verdienen, aber unter Karriere stellen sich die meisten etwas anderes vor. Diese Bereiche zu automatisieren, ist für viele Unternehmen daher notwendig. Automatisierung ist dort die Lösung, wo der Mensch unterfordert ist.

Gleichzeitig warnt er davor, bestimmte Jobs allzu schnell von außen beurteilen zu wollen: „Manche verkümmern tatsächlich bei gewissen Tätigkeiten, weil sie sich ständig geistig unterfordert fühlen. Andere hingegen fühlen sich genau dabei wohl, wollen genau das und verstehen den Job als Grundlage, um sich ihr eigentliches Leben leisten zu können. Ich gebe zu, die werden tendenziell weniger: Immer mehr Menschen wollen in ihrem Beruf auch einen Sinn erkennen.

Den Rückgang der „Unachtsamkeiten“ führt Florian Sattler, Automatisierungs-Spezialist bei Autostore, auch auf das persönliche Erleben der Mitarbeiter:innen zurück. Die sähen immer häufiger, dass die Technologie ihre Arbeit tatsächlich unterstützt und erleichtert. „Das Totschlag-Argument früherer Zeiten – Automatisierung diene dem Abbau von Arbeitskräften – wird durch diese alltägliche Erfahrung massiv relativiert. Automatisierung greift ja vor allem bei Jobs, die niemand machen will. Bei repetitiven, gefährlichen oder langweiligen Tätigkeiten.

Die Angst nehmen

Dass das Lernen ein allseitiges war, räumen die Experten durchaus selbstkritisch ein. Das frühzeitige Einbinden der Mitarbeiter:innen, das „Mitnehmen“ der Menschen war nicht immer die Stärke der Hersteller und Integratoren. Es bedürfe eines aktiven Change Managements, betont Florian Sattler. „In jedem Unternehmen gibt es ja Meinungsbildner, und die muss man bei der Einführung eines Systems möglichst frühzeitig mit der Technologie bekanntmachen und in die Entscheidungen einbeziehen. Wenn das gelingt, ist es meist kein Problem, die Technologie im Unternehmen auch durchzusetzen.

Erleichtert wird der Prozess durch einen weiteren Effekt: Menschen jeder Generation sind heute geübt darin, mit elektronischen Devices umzugehen. Und das hat die Hemmschwelle deutlich gesenkt. „Früher hat Technologie bei vielen Menschen Angst ausgelöst“, sagt Peter Totz, „heute erlebe ich Geschäftsführer:innen, die mich fragen, ob man nicht diesen oder jenen Bereich auch noch automatisieren kann. Hier hat ein extremer Wandel stattgefunden.

Werden die Projekte auch psychologisch intelligent aufgesetzt, kann ein Effekt einsetzen, der das Image der Automatisierung auf den Kopf stellt: Die Menschen werden selbstbewusster. „Das menschliche Gehirn, die Hand, das Auge sind einfach unschlagbar, wenn es darum geht, Ware zu manipulieren“, betont Markus Winkler. „Die stupiden Tätigkeiten kann auch der Roboter übernehmen. Wenn man diese beiden Erkenntnisse frühzeitig vermittelt, werden sich die Menschen in den Betrieben vor Automatisierung auch nicht fürchten.“ Die Behauptung, Roboter dienten nicht dazu, Menschen zu ersetzen, hielt auch er früher bisweilen für ein Lippenbekenntnis. „Ich machte allerdings die Erfahrung: Es ist wirklich so. Ich habe immer wieder gesehen, dass dieses Thema komplett vom Tisch ist, wenn die Mitarbeiter:innen den gemeinsamen Umgang mit den Systemen erleben. Wenn sie sehen, was Automatisierung kann – und auch, was sie selbst können.

Wie sehr sich die Einstellung verändert hat, zeigt sich an einzelnen Beispielen, in denen Automatisierung sogar ein Aspekt des Recruitings wurde. Ein Kunde von Markus Winkler ging
diesen Weg: Das Unternehmen verpasste seinem neuen Roboter einen Namen (gefunden nach einem internen Wettbewerb) und ging damit offensiv ins Recruiting: Das ist unser neuer Mitarbeiter, und jetzt suchen wir neue Kolleg:innen! Vor allem über die Social Media verbreitete sich die Botschaft recht schnell und führte auch zum Erfolg.

Die Schnittstelle als Baustelle

Die Erkenntnis, dass das Halten bestehender Mitarbeiter:innen ökonomischer ist als das Suchen nach neuen, ist nicht revolutionär. Die Entwicklung des Arbeitsmarktes hat sie aber wohl weiter an die Oberfläche befördert. „Der Obstkorb beim Empfang oder der Kicker im Pausenraum reichen aber nicht, um die Menschen ans Unternehmen zu binden“, sagt Florian Sattler. Ein wesentlicher Aspekt sei die konkrete Ausgestaltung des einzelnen Arbeitsplatzes, die Optimierung der Mensch-Maschine-Schnittstelle. „Ich befürchte, dass hier noch ein weiter Weg vor uns liegt. Der Mangel an Arbeitskräften in der Intralogistik ist ja auch die Folge der vielen immer wiederkehrenden Prozesse. Wird der Arbeitsplatz durch Automatisierung in dieser Hinsicht aber nicht verbessert, erreicht man keine Mitarbeiter-Bindung.

Vor diesem Hintergrund ist auch zu sehen, dass sich das Konzept „Cobot“ nicht so recht durchgesetzt hat – „zum Glück“, wie Florian Sattler betont. Die Idee, Roboter und Menschen Hand in Hand arbeiten zu lassen, ist einerseits an technologische Grenzen gestoßen – wenn etwa der Roboter mit nicht standardisierbaren Faktoren wie dem Greifen von Polypacks konfrontiert wird. Zudem muss der Roboter seine potenzielle Geschwindigkeit massiv drosseln, kooperiert er unmittelbar mit Menschen.

Doch in erster Linie hat sich gezeigt, dass Menschen so nicht arbeiten wollen. „Klassische Roboter sind am effektivsten, wenn man den Menschen aus dem System nimmt“, sagt Markus Winkler. „Stationäre Roboter und Menschen Hand in Hand arbeiten zu lassen, ist in meinen Augen meist ineffektiv. Der Mensch ist kreativ und problemlösungsorientiert – Roboter tun, was man ihnen befiehlt. Schafft man ein Miteinander, einen gemeinsamen Arbeitsbereich, muss man die Übergabe über eine neutrale Schnittstelle konzipieren. Das kann dann tatsächlich sehr effizient sein.

In seinen Augen kann die Kooperation nur sinnstiftend funktionieren, wenn die beiden Sphären klar voneinander getrennt bleiben: Roboter übernehmen den Transport, danach entnimmt der Mensch die Ware, stellt eine neue Einheit zur Verfügung – und der Roboter kommt zu gegebener Zeit, um sie wieder mitzunehmen. „Die Mitarbeiter:innen akzeptieren diese Kooperation nicht nur, sie mögen sie sogar. Wahrscheinlich auch deshalb, weil es einen spielerischen Aspekt gibt. Wenn zwei Menschen quer im Gang stehen, sucht unserer Roboter zunächst einen Umweg. Findet er den nicht, wartet er eine Zeit lang und bittet dann höflich darum, vorbeigelassen zu werden. Solches Verhalten kommt bei den Menschen erfahrungsgemäß wirklich gut an.

Eine Technologie für Konzerne?

Es ist eines der hartnäckigsten Vorurteile gegenüber Automatisierung: Wunderbar geeignet für Konzerne, kein Thema für kleine und mittlere Betriebe. Zu teuer, zu groß, viel zu langer Planungshorizont.

Genau hier, meint Peter Totz, habe sich in letzter Zeit besonders viel verändert. „Wir bekommen immer mehr Angebote, die schneller installiert werden können, niedrige Einstiegskosten bieten und modular aufgebaut sind, also auch im laufenden Betrieb erweitert werden können. Kleine Unternehmen müssen nicht mehr zehn Jahre im Voraus rechnen und einen Break-even zwischen fünf und acht Jahren erwarten. Welches KMU weiß denn, was in zehn Jahren sein wird?

Für Unternehmen wie TGW, erzählt Markus Winkler, bedeute diese Entwicklung einen klaren Fokus auf das Skalieren nach unten, das Anbieten kleinerer Bauteile, die sich schneller integrieren lassen. „Daneben gibt es immer mehr kleinere Anbieter mit sehr spezifischen Angeboten an Lager- und Transportlösungen. Uns großen Integratoren tut das nicht weh, aber die Kleinen von heute sind ja vielleicht die Großen von morgen. Der Umgang mit den Bedürfnissen von KMU beschäftigt die Branche derzeit jedenfalls massiv.

Peter Totz erwartet für die kommenden Jahre nicht weniger als eine „mittlere Revolution“: „Im Großen und Ganzen werden unsere KMU in den kommenden Jahren automatisieren.

Was bedeutet „Qualifikation“?

Wenn Automatisierung vor allem Jobs mit geringerem Qualifikationsanspruch ersetzt – was geschieht dann mit Menschen, für die höhere Qualifikation kein Ziel ist? Die soziale Implikation ist offensichtlich. „Es gibt meiner Erfahrung nach gar nicht so wenige Kommissionierer:innen, die acht Stunden lang arbeiten wollen, ohne dabei eine besonders qualifizierte Tätigkeit auszuüben“, sagt Peter Totz. „Die arbeiten dafür, danach ihr eigentliches Leben zu haben. Andere interessieren sich für Qualifikation, das sind jene, die auch immer wieder mit Verbesserungsvorschlägen kommen. Eine Folge der Automatisierung wird wohl sein, dass sich die Mitarbeiter:innen tendenziell in die zweite Richtung entwickeln müssen.

Seiner Überzeugung nach wollen fast alle Menschen eine für sie sinnvolle Tätigkeit ausüben. So seien wir gepolt, und vor allem die nachrückenden Generationen seien vermehrt mit diesem Anspruch aufgewachsen. „Kann man also einen Job bieten, der sinnvoll ist und die Möglichkeit bietet, sich einzubringen, werden das die meisten schätzen. Und wer das nicht will oder nicht kann, auch den kann man abholen.

In den USA erlebte er ein Unternehmen, in dem mehr als die Hälfte der Menschen in der
Kommissionierung eine leichte geistige Behinderung haben. Diese Mitarbeiter:innen werden stark über Gamification abgeholt. Und ihre Leistung liegt nur relativ knapp unter jener der Nicht-Beeinträchtigten. „Im Grunde kann es sehr einfach sein – zumindest, wenn sich ein Unternehmen wirklich etwas überlegt. 

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