„Singen alle das gleiche Lied,

muss man gut auf den Text achten“

„Singen alle das gleiche Lied, muss man gut auf den Text achten“

Diversität ist Bestandteil nahezu aller Unternehmens-Leitbilder. Doch was bedeutet dieser Begriff eigentlich? Warum es um viel mehr geht als um Geschlecht oder Hautfarbe. Welche Kompetenzen in Gremien unbedingt vertreten sein sollten. Und warum es letztlich immer um Wertschätzung geht: ein Gespräch mit Aufsichtsrats-Experte Josef Fritz.

Herr Fritz, wenn von Diversität gesprochen wird, dann meist im Zusammenhang mit Geschlechterdiversität. Bestenfalls geht es um kulturelle Unterschiede – medial gerne heruntergebrochen auf Hautfarbe oder Sprache. Wie definieren Sie den Begriff?

Josef Fritz: Diversität bedeutet grundlegend „Anders-Sein“. Dies wird tatsächlich immer wieder auf die Frage des Geschlechts reduziert, umfasst in meinen Augen jedoch viel mehr. Es geht auch um Diversität des Alters, der Internationalität, des Know-hows und der Herkunft.

 

Bringt Diversität im beruflichen Kontext nachweisbar Vorteile, oder ist sie nur politisch korrekt?

Fritz: Eine Vielzahl wissenschaftlicher Studien hat längst nachgewiesen, dass Diversität in Gremien – auf welcher Ebene auch immer man diese ansiedelt – stets zu besseren Entscheidungsprozessen beiträgt. Die Qualität der Entscheidungen steigt signifikant, wenn unterschiedliche Menschen daran beteiligt sind.

 

Wie befördert man diesen Effekt?

Fritz: An der Spitze einer Organisation muss ein Mensch mit der Fähigkeit stehen, andere einzubinden. Das Einbringen unterschiedlicher Standpunkte, das bewusste Zulassen von Pro und Contra macht Entscheidungen besser – das ist für nahezu alle Bereiche nachgewiesen. Im Militär, im Sozialbereich, in der Politik, in Unternehmen sowieso.

 

Gute Vorgesetzte betreiben das Gegenteil von „Monkey Management“:

Mitarbeiter:innen sind angehalten, Probleme zu schildern, sie sollten aber auch gleich zwei oder drei Lösungsvorschläge liefern. Und die werden dann gemeinsam diskutiert. Wird dies in einem Unternehmen zur Kultur, sind unglaubliche Entwicklungsschritte möglich. So werden Entscheidungen dramatisch besser.

 

Es geht also auch darum, Kompetenzen abzugeben?

Fritz: Das beinhaltet auch die Definition von Leadership.

 

Bleiben wir beim Thema Altersdiversität: Ich höre seit vielen Jahren, dass das Wissen und die Erfahrung älterer Arbeitnehmer:innen für die Wirtschaft wertvoll seien – und dennoch finden ältere Arbeitslose kaum einen Job.

Fritz: Ich begegnete diesem Thema schon vor Jahrzehnten bei der ältesten Firma der Welt: der katholischen Kirche. Die Kirche verfolgte immer das Prinzip, einem älteren Pfarrer einen jüngeren Kaplan zur Seite zu stellen. Manche Pfarrer haben ihre Gemeinde wunderbar im Griff, verlieren aber über die Jahre ihre Dynamik, ihr Feuer. Deckt nun der eine das Know-how und die Erfahrung ab, der andere aber Sturm und Drang, kann eine unglaubliche Kraft entstehen. Dieses Wissen ist also schon recht alt. Dies stärker auch in der Wirtschaft zu leben, wäre äußerst förderlich.

 

Besonders spannend finde ich die Dimension des Know-hows. Es scheint ja fast naturgesetzlich, dass Gremien Menschen ähnlichen beruflichen Backgrounds vereinen.

Fritz: Das ist leider tatsächlich ein häufiger Zugang. Wenn Sie etwa die rund 200-jährige Geschichte der Aufsichtsräte betrachten, stellen Sie fest, dass Know-how-Diversität hier in den seltensten Fällen ein Thema war. Jeder Aufsichtsrat ist von Expert:innen für die Kompetenzfelder Finanzen, Recht und Betriebswirtschaft besetzt. Doch dann wird es meist zappenduster.

Ein wirklich potenter Aufsichtsrat muss in meinen Augen jedoch auch die Kompetenzfelder Personal, Marketing und Vertrieb, Technik, Produktion und Logistik, Managementerfahrung, interne Unternehmenskenntnis, Branchenwissen, Kommunikation, Internationalität, Digitalisierung und Nachhaltigkeit abdecken. Hinzu kommt die Rolle des „Realwirts“ – eines Menschen, der auf die Entscheidung drängt, wer was bis wann konkret umzusetzen hat. Persönlichkeiten also, die eine gewisse Erdung herstellen und rein akademische Diskussionen auf den eigentlichen Zweck herunterbrechen. Persönlichkeiten, die angesichts des wuchernden Meeting-Wesens – also der organisierten Form von Zeitverschwendung – Ergebnisse einfordern. Die allerwichtigste Kompetenz dabei ist meiner Meinung nach die Personalkompetenz, also die Erfahrung im Umgang mit Menschen. Leider herrscht häufig die Einstellung „Personal kann jeder“. Und so sieht es dann auch oft aus.

Selbstverständlich kann nicht jedes mittlere und kleine Unternehmen seinen Aufsichtsrat mit 14 Menschen besetzen – aber es geht ja um Kompetenzen, und manche Persönlichkeiten können durchaus mehrere davon abdecken.

 

Kann man dieses Prinzip auf darunter liegende Ebenen übertragen?

Fritz: Mein beruflicher Zugang ist der Aufsichtsrat – dort beginnt der Fisch zu glänzen. Doch ich bin davon überzeugt, dass dies überall gilt, wo Menschen zusammenkommen.

 

Sie sprechen von Know-how-Diversität. Geht es nicht auch um Meinungs-Diversität?

Fritz: Das ist vollkommen richtig. Wird ein Unternehmen von narzisstischen Menschen geführt – und das ist häufiger der Fall, als man glauben will –, wird genau das unterdrückt. Solche Menschen dulden keine andere Meinung, und diese Einstellung durchdringt dann alle Hierarchiestufen. Ich habe das immer wieder erlebt: Herrscht in der Führungsebene ein solcher Stil, lähmt dies das komplette Unternehmen, weil die Kommunikation der Abteilungen untereinander gestört ist. Peter Drucker hat echte Autorität als Vorbild und Beispiel definiert – und eben nicht als Macht und Hierarchie.

 

Bedarf es eines Advocatus Diaboli?

Fritz: Im Grunde schon. Singen alle das gleiche Lied, muss man gut auf den Text achten.

 

Hat Diversität eigentlich auch Nachteile?

Fritz: Sogar erhebliche Nachteile. Diversität zuzulassen, erfordert immer Zeit und Aufwand. Und sie erfordert die Fähigkeit zur Reflexion. Das Fremde führt im ersten Moment immer zu Ablehnung – und seien es nur ein anderes Bundesland oder ein anderer Dialekt. Diese evolutionäre Disposition zu überwinden, ist anstrengend. Das Fremde aktiviert immer Abwehrmechanismen. Die zu überwinden, kostet jeden Menschen Kraft.

 

Sieht man sich Unternehmenspräsentationen an, gewinnt man den Eindruck, alle Firmen wurden über Nacht ebenso nachhaltig wie divers. Stock-Fotos auf den Websites zum Thema Mitarbeiter:innen zeigen meist eine ausgewogene Mischung an Frauen und Männern, Älteren und Jüngeren, gerne auch mit unterschiedlichen Hautfarben. Schadet diese offensichtlich unrealistische Darstellung dem Thema?

Fritz: Aber natürlich! Solche Darstellungen sind völlig oberflächlich – vor allem aber befördern sie das Thema nicht, weil jedem klar ist, dass es sich um falsch verstandenes Marketing handelt.

 

Was entgegnen Sie Menschen, die sich unter „ihresgleichen“ einfach wohler fühlen? Nicht-diverse Teams können doch auch gut funktionieren?

Fritz: Prinzipiell ist es nie gut, allzusehr im eigenen Saft zu schmoren. Ich denke, Branchen wie die Automobilindustrie, die Bauindustrie oder auch die Logistik bieten dafür recht gute Beispiele. Wenn Männer sagen, sie arbeiten mit anderen Männern einfach besser zusammen, halte ich das meist für ein Komfort-Argument: Man ist im vertrauten Umfeld. Diversität verlangt immer danach, die Komfortzone zu verlassen.

 

Welchen Einfluss hat Diversität denn auf die aktuelle Lage auf dem Arbeitsmarkt? Gefährdet das Buhlen vieler Unternehmen um neue Zielgruppen im Recruiting das Thema durch Banalisierung? Oder kann Diversität tatsächlich ein Teil der Lösung des Arbeitskräftemangels sein?

Fritz: Beides trifft zu. Das übergeordnete Thema lautet meiner Meinung nach: Für jede Organisation ist die menschliche Ressource die entscheidende. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir doch konstatieren, dass man diese Ressource zu selten wirklich wertgeschätzt hat. Darum bin ich ja auch ein Fan des Hotel-Unternehmers Bodo Janssen. Er ist einer der wenigen, die dieses Prinzip glaubwürdig umgedreht haben: Die Menschen sind das Wichtigste. Und das sagt Bodo Janssen, der in der Tourismus-Branche tätig ist, die ja einen ganz anderen Ruf genießt! Doch hier stecken fast alle noch in den Kinderschuhen. Der Mensch wird in seiner Wertigkeit nicht verstanden, nicht akzeptiert und folgerichtig nicht wertgeschätzt. Und daher komme ich immer wieder zu dem Punkt: Entscheidend ist Personalkompetenz. Wie sehe ich Menschen? Wie ist mein Menschenbild?

 

Der drastische Mangel an Lkw-Fahrer:innen ist dafür wohl kein schlechtes Beispiel?

Fritz: Ja, wobei man vorsichtig sein sollte, wie man gewisse Berufe einschätzt, welches Image man ihnen verpasst. Vor vielen Jahren haben wir in einem Bauunternehmen, in dem ich tätig war, Mitarbeitergespräche eingeführt. Sowohl mit Angestellten als auch mit Arbeitern. Ich habe damals selbst Mitarbeitergespräche mit Kanalgrabern geführt. Die stehen manchmal im wahrsten Sinne des Wortes in den Fäkalien – ein für die meisten unvorstellbarer Job. Und wissen Sie, was dabei herauskam? Manche lieben diesen Beruf. Ebenso habe ich auch viele Lkw-Fahrer kennengelernt, die ihren Beruf wirklich lieben. Und das führte zu konstruktiven Gesprächen.

Dieses Thema ist tatsächlich schon recht alt. Antoine de Saint-Exupéry hat geschrieben: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“
Das Problem ist also ein altes: Wir versagen beim Thema Personal. Wenn Menschen überhaupt wertgeschätzt werden, dann meist mit einem falschen Maßstab: über Boni, über Prämien. Doch ein finanzieller Bonus wirkt ungefähr 14 Tage lang nach, in der dritten Woche ist er vergessen – selbst, wenn er exorbitant ausfällt. Motivation funktioniert nur über authentische, vorgelebte Wertschätzung.

 

Sie kennen Unternehmen, die das leben?

Fritz: Ich kenne viele, die sogar in Zeiten wie diesen kein Rekrutierungsproblem haben. Das sind oft Familienunternehmen, in deren DNA genau dieser Ansatz eingeschrieben ist. Deren Mitarbeiter fühlen sich als Bestandteil der Firma, sie gehen die berühmte Extrameile, auch wenn die nicht zusätzlich entlohnt wird.

 

Hat dieser Zugang auch Auswirkungen auf die Recruiting-Prozesse?

Fritz: Bei mir sitzen oft die Personalchefs großer Konzerne – und auf der anderen Seite des Tisches junge Akademikerinnen und Akademiker, die sich für eine Position im Unternehmen interessieren. Seit ein paar Jahren bemerke ich, dass sich nach ungefähr der halben Gesprächszeit die Richtung ändert: Die Personalchefs geraten in die Klemme, und die jungen Menschen übernehmen plötzlich die Gesprächsführung. Sie stellen sehr konkrete Fragen – nach Wertschätzung, Nachhaltigkeit, Diversität. Und wissen Sie, wie manche dieser Gespräche enden? Die Bewerber:innen bedauern, dass es das Unternehmen eher nicht auf ihre Shortlist schaffen wird. Da lacht mein Herz!

Sehen Sie sich doch an, welche Position die HR in vielen Unternehmen hat! Vereinfacht gesagt, ist das oft immer noch eine Lohn- und Gehaltsverrechnung, garniert mit ein bisschen Ausbildung. Die Personalkompetenz ist in vielen Unternehmen immer noch unbefriedigend angesiedelt. Eine abgeschottete Abteilung, die für niedrige Krankenstände und Fluktuation sorgen soll. So bekämpft man aber nur Symptome, nicht Ursachen. HR ist in den seltensten Fällen im Top-Management angesiedelt. Ein erster Webfehler, den im Grunde jeder erkennen könnte. Das Thema muss definitiv im C-Level und im Aufsichtsrat angesiedelt sein und permanent auf der Tagesordnung stehen.

 

Die Probleme sind aber wohl schon früher angelegt und nicht erst im Arbeitsleben?

Fritz: Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass jeder Mensch in seinem Leben irgendetwas erreichen will. Doch die Menschen werden immer wieder systematisch gebrochen. Das beginnt in Hort und Kindergarten, zieht sich durch das gesamte sehr zu hinterfragende Bildungssystem und spiegelt sich im Berufsleben: Der Eigenantrieb wird ihnen genommen. Und daher tragen viele ihren Körper von acht bis 16 Uhr in die Firma und zählen nur noch die Jahre bis zur Pensionierung. Die gleichen Menschen sind in ihrer Freizeit aber oft hochaktiv und sozial stark vernetzt. Das muss uns doch zu denken geben!

zur Person

Josef Fritz ist geschäftsführender Gesellschafter der Board Search GmbH, Fachautor, Keynote-Speaker, Moderator, Veranstalter des Forums Aufsichtsrat und Initiator der Aufsichtsrats-Gala, die Exzellenz im Aufsichtsrat auszeichnet.
Der promovierte Jurist wirkte 20 Jahre im Top-Management als CEO, CFO und Geschäftsführer in Konzernen und Familienunternehmen in den Branchen Bankwesen, Bauindustrie, Hotellerie, Tourismus, Private Equity, M&A, Produktion, Handel, Systemgastronomie/Franchise sowie dem Immobilienwesen.
Josef Fritz teilte 21 Jahre sein Wissen als Lektor an der Wirtschaftsuniversität Wien und derzeit an der Donau-Universität Krems.

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